Pressemitteilung
Kulmbach, 5. Juli 2022
42 Dienstjahre wie im Fluge vergangen – In der AWO Kulmbach hat sich seither viel getan
Vom Arbeitseinstieg in jungen Jahren bis zum Ruhestand blieb Elisabeth Weith der AWO Kulmbach stets treu. Nach über vier Jahrzehnten soziale Arbeit kann die ehemalige Geschäftsführerin auf viele positive Entwicklungen zurückblicken. Im folgenden Interview erzählt sie ganz offen von Ihren Anfängen bei der AWO und wie sie die Veränderungen über die Jahre hinweg wahrgenommen und mitbegleitet hat.
Wie kamen Sie damals zur AWO?
Elisabeth Weith: Die AWO – damals sagte man übrigens noch für lange Zeit „Die AW(eeeeh)“ – war mir schon lange ein Begriff, eigentlich seit der Zeit, zu der ich als Kind nach Mainleus gezogen bin. Dort war ja schon in den 70er Jahren ein sehr aktiver Ortsverein, der unter dem späteren Kreisvorsitzenden Werner Grampp ganz viele Aktivitäten für Kinder und Jugendliche angeboten hat – leider nicht für mich, denn aus einem sehr schwarzen und konservativen Elternhaus stammend durfte ich mich da natürlich nicht beteiligen. Doch das war nicht der Grund für die Wahl des späteren Arbeitsplatzes. Ich war 1978 auf der Suche nach einem geeigneten Praktikumsplatz im Rahmen meines Studiums und wollte gerne wieder – ich hatte vorher schon eine Zeit lang bei der Lebenshilfe erste Erfahrungen gesammelt – mit Menschen mit Beeinträchtigungen arbeiten.
Ein solcher Praktikumsplatz war zu der Zeit nicht leicht zu finden, das Studium der sozialen Arbeit gab es ja noch nicht so lange, die Anforderungen an den Ausbildungsort waren sehr hoch und es gab nur wenige Berufsgruppen, die überhaupt das Praktikum begleiten konnten. So war in unserem Vorstellungsgespräch der damalige – und ja auch in seinem Amt noch sehr frische – Geschäftsführer Oskar Schmidt ein wenig ratlos und meinte, irgendwie würden wir das schon hinbekommen. Das haben wir dann auch. Für dieses Gespräch – ich sehe uns übrigens immer noch in seinem Büro auf grünen Plüschpolstern sitzen – bin ich ihm heute noch dankbar. Manch anderer hätte mich damals einfach weitergeschickt.
Sie haben ihre komplette Karriere bei der AWO Kulmbach durchlebt – warum sind sie der AWO immer treu geblieben?
Weith: Die Antwort ist eigentlich einfach: das lag an den Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten durfte und an den immer neuen Aufgaben, die sich gestellt haben.
Natürlich ist es so, dass man ab und zu nach links und rechts geschaut hat und dabei viel Interessantes gesehen hat – und es gab auch schon mal das eine oder andere Angebot. Bei näherer Betrachtung musste ich aber immer wieder feststellen, dass zwar „andere Mütter auch schöne Töchter haben“, gleichzeitig konnte ich aber sehen, dass eigentlich alle nur mit Wasser kochen, wie man so schön bei uns sagt. So wie sich die AWO mir gezeigt hat, war mir eigentlich immer klar, dass es hier so viel Gestaltungsspielraum gab wie nur selten. Ich hatte das große Glück, dass ich viele Ideen umsetzen und vor allem eines tun konnte: immer wieder mit neuen Maßnahmen Initiativen und Einrichtungen auf aktuelle Bedarfe eingehen zu können, ohne durch Bedenken gestoppt zu werden. Das Prinzip, immer wieder Dinge tun zu können, die den Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenssituationen die notwendige Hilfe und Unterstützung geben können, hat sich durch mein ganzes berufliches Leben gezogen. Dazu kam, dass ich mich in regelmäßigen Abständen weiterentwickeln und mich in den unterschiedlichsten Funktionen einbringen konnte: Anfangs als Einrichtungsleitung, später dann als Referentin und am Ende als Geschäftsführerin. Dabei hat die AWO mich aber nie alleine stehen lassen, sondern ich wurde immer aktiv in dieser Entwicklung unterstützt, am Ende sogar durch das Angebot eines weiteren Studiums im Sozialmanagement.
Warum also hätte ich wechseln sollen?
Was begeistert Sie an der AWO Kulmbach?
Weith: Marie Juchacz hat die AWO vor 100 Jahren gegründet, weil sie die Not der Menschen nach dem ersten Weltkrieg mildern wollte – das klingt jetzt vielleicht ein wenig verstaubt, doch dieser Geist weht bis heute durch unseren Verband hier in Kulmbach. Natürlich haben wir uns inzwischen zu einem Sozialverband entwickelt, doch alle die hier arbeiten, wissen, wofür wir eigentlich da sind. Hier wird nichts einfach regelhaft abgearbeitet, der Mensch steht immer im Mittelpunkt und die verschiedenen Professionen verstehen ihr Handwerk unbedingt.
Da kommen wir übrigens zu einem zentralen Gedanken: wer ist denn eigentlich diese AWO Kulmbach? Das ist kein theoretisches Konstrukt, das sind wir alle, die hier arbeiten oder anderweitig wirken. Die Gemeinschaft dieser Menschen bildet diese AWO, dazu gehören natürlich auch unsere Ortsvereine mir fast zweitausend Mitgliedern und wenn ich Gemeinschaft sage, so meine ich das auch. Ich denke dabei auch an die Krisen, die wir gemeinsam durchgestanden haben – Corona beispielweise hat gezeigt, wie wir wirklich funktionieren. Umso mehr schmerzt es mich, auch das möchte ich hier nicht unerwähnt lassen, was in der jüngsten Vergangenheit in der Öffentlichkeit mit unserem Verband und den Verantwortlichen gemacht wurde. Ist eigentlich jedem bewusst, dass damit alle unsere Mitarbeiter und Mitglieder als Teil dieser Organisation auf das Tiefste grundlos verletzt wurden?
Wie hat sich die AWO im Laufe der Jahre entwickelt? Was hat sich getan?
Weith: Wenn ich hier 44 Jahre zurückdenke, so kann ich gar nicht aufzählen, was sich hier alles entwickelt hat, welche Vielzahl an Einrichtungen und Diensten dazu gekommen sind. Das ist aber nicht einfach so vom Himmel gefallen, sprich: da sitzt nicht jemand einfach irgendwo und denkt darüber nach, was man denn Neues schaffen könnte. Die Entwicklung unserer verschiedenen Angebote ist eigentlich ein Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklung, die sich in diesem Zeitraum vollzogen hat. Übrigens: wir sprechen eigentlich immer nur von der rasanten technischen Entwicklung in den letzten Dekaden, dabei ist in unserer Gesellschaft ebenfalls ein rasanter Wechsel passiert. Wenn ich daran denke, welche älteren Herrschaften in meinen Anfangszeiten in Altenheimen gelebt haben, so hat sich das bis heute komplett gewandelt. Das zieht sich durch alle Bereiche: Hat früher eine „Tante“ im Kindergarten betreut, so leisten heute pädagogische Fachkräfte frühkindliche Bildung. War man zu den Anfangszeiten schon froh, gute Betreuungsangebote für Kinder mit Behinderung zu haben, so bietet die AWO heute Fördereinrichtungen, in denen auch so manches Kind mit geistiger Behinderung Lesen und Schreiben lernt. Hat man früher diese Kinder in Einrichtungen ohne viel Kontakt zu anderen untergebracht, so besuchen jetzt im Zuge der Inklusion die gleichen Kinder eine Regeleinrichtung. Die Aufzählung der Entwicklungen geht eigentlich ins Unendliche.
Hier ist es einfach die Aufgabe eines Sozialverbandes auf diesen Wandel zu reagieren und gute und passgenaue Angebote zu machen – genau das ist bei der AWO Kulmbach passiert und so steht heute der Verband mit über 800 Mitarbeitern in fast 50 Einrichtungen und Diensten da!
„Wo AWO draufsteht, steckt auch AWO drin“ – dieser Satz wird Ihnen zugesprochen – was genau bedeutet er für Sie?
Weith: Das hat etwas mit den Grundwerten unseres Verbandes zu tun. Wir sprechen hier vor allem von Begriffen wie Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Toleranz – und, für mich das Wichtigste von allem: der Respekt vor dem anderen Menschen.
Egal was wir tun, egal mit wem oder wo wir es tun: ohne die Beachtung dieser Werte, in jeder täglichen Handlung, wäre die Arbeit eines Sozialverbandes nur eine leere Hülle. Für alle unserer Mitarbeiter muss es also Voraussetzung für die Tätigkeit bei uns sein, dass sie neben einer professionellen Ausbildung eine Persönlichkeit mitbringen, für die das Leben dieser Werte im Alltag eine Selbstverständlichkeit ist. Hier sind wir noch einmal an dem oben schon angesprochenen Punkt: die Gemeinschaft der Mitarbeitenden bildet die AWO und ich bin sehr stolz darauf, Teil dieser Gemeinschaft AWO zu sein.
Jetzt werden Sie sagen, das sind ja hohe Anforderungen, das können ja nicht alle Mitarbeitenden im gleichen Maß erfüllen – das meine ich auch nicht so. Ich denke, dass jeder, der bei uns arbeitet, diese Grundwerte in sich trägt und diese, je nach Ausprägung und Aufgabe, in seine Arbeit einfließen lässt. Wo AWO draufsteht, das ist ja dann auch der Moment, an dem, wenn es zu einer Abweichung kommt, die gleichen Grundwerte auch für den Umgang mit Mitarbeitenden gelten und man immer bemüht ist, einem Kollegen oder einer Kollegin eine zweite Chance zu geben.
Ihr Steckenpferd ist die „soziale Arbeit“ – wie definieren Sie diesen Begriff?
Weith: Ich möchte sagen, „Steckenpferd“ trifft es nicht ganz – ich meine, es war bei mir schon in jungen Jahren eine Art Berufung, auch wenn das hier vielleicht ein wenig geschwollen klingt. In mir war schon seit dem Zeitpunkt, als ich zum ersten Mal unmittelbar auf Menschen getroffen bin, die eher am Rand unserer Gesellschaft leben, der Wunsch entstanden, mir ein fachliches Wissen anzueignen, um hier entgegenwirken zu können. Aber das nur am Rand: Sie fragen ja, wie ich den Begriff definiere. Schwierig auf einen Punkt zu bringen!
Wenn Sie da in der Fachliteratur stöbern, finden Sie viele intelligente Antworten, so sagt man beispielsweise: Soziale Arbeit fördert die gesellschaftliche und soziale Entwicklung von Menschen und deren Selbstbestimmung. Man kann auch lesen: Sie umfasst die alltägliche Unterstützung von Menschen und gibt Hilfestellungen für verschiedene Problemsituationen. Man kann hier unzählige weitere Beschreibungen anfügen und sie sind sicher alle richtig. Und so beschreibe ich das sicher auch. Ich meine, soziale Arbeit ist eigentlich alles, was man tun kann, um professionell Menschen in ihrem Leben zu helfen. Das ist sicher auch eine Aufgabe der Politik, für mich aber zunächst die Pflicht der Gemeinschaft, denn auch die Politik ist nur ein Teil davon – sie ist aber verpflichtet den Rahmen zu schaffen, damit diese Aufgaben auch erfüllt werden können.
Aber wenn wir Soziale Arbeit sagen, so meinen wir damit ja eigentlich immer eine berufliche Ausrichtung. Damit tu ich mir schwer, für mich ist es eigentlich die Verpflichtung jedes Einzelnen, so mit seinen Mitmenschen umzugehen, dass Ungleichheiten wenigstens abgemildert werden. Dazu gehört es auch hinzuschauen. Es gibt ein Sprichwort, das mich eigentlich schon immer begleitet hat: „Was das Auge nicht sieht, kann das Herz nicht berühren“ – heißt also, wenn wir alle mehr hinschauen, könnte sich möglicherweise auch mehr verändern.
Und da haben Sie jetzt auch meine Antwort, wie ich die Soziale Arbeit definiere: Sie ist für mich die Frage: Wie kann ich Dir helfen?
Wie hat sich die Bedeutung der „Sozialen Arbeit“ in der Gesellschaft im Laufe der Jahre verändert? Welche Bedarfe werden dabei von der AWO Kulmbach gedeckt/umgesetzt und warum?
Weith: Jetzt bleiben wir einmal streng bei der Profession: Eigentlich ist die klassische „Soziale Arbeit“, so wie wir sie heute sehen, ja ein relativ junger Berufszweig. Stimmt ja, aber auch schon wieder nicht, denn es gab sie schon immer, seit es Menschen gibt, der Begriff wurde halt irgendwann gebildet. Schauen wir in unsere Vergangenheit, so lesen wir in uralten Berichten schon von Armenhäusern, Suppenküchen oder von Klosterschwestern, die sich um „Findelkinder“ gekümmert haben. Jede Zeit hatte ihre „Soziale Arbeit“ – in der jüngeren Vergangenheit wurde sie halt professionalisiert und zu einer angewandten Wissenschaft und Berufspraxis. Das hat wieder mit unserer gesellschaftlichen Entwicklung zu tun, denn die Strukturen des Miteinanders, die einfaches gegenseitiges Helfen möglich machen, sind verloren gegangen und es musste sich eine Profession entwickeln.
Und wie wird sie nun in der AWO umgesetzt? Folgerichtig haben sich für die verschiedenen Problemfelder Einrichtungen entwickeln müssen und diese Umsetzung können wir sehen, wenn wir uns auf der Homepage der AWO umschauen.
Worauf sind Sie besonders stolz, wenn Sie auf Ihre Zeit bei der AWO zurückblicken?
Weith: Da muss ich schon wieder einen Begriff relativieren: Stolz tut hier eigentlich nichts zur Sache.
Wenn ich auf meine Zeit zurückschaue und sehe, was sich alles auch mit meinem Zutun entwickelt hat, so erfüllt mich hier eher Zufriedenheit. Wie es dazu kommt, habe ich ja eigentlich schon beschrieben. Wir waren immer bemüht, dort Lösungen anzubieten, wo sich Problemfelder aufgetan haben – und das übrigens manchmal sehr spontan, schnell und wendig. Da sind wir wieder bei meiner Eingangsbeschreibung, wie ich denn zur AWO kam. Unsere Arbeit hat sich immer wieder dadurch ausgezeichnet, dass Bedenken Projekte nie schon im Vorfeld aufgehalten haben.
Der Mensch im Mittelpunkt – das war immer das Motto und ich erinnere mich beispielsweise an die fast schon spontane Aufnahme von 60 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Der Versuch ist einfach geglückt und wir konnten für diese Menschen dann für einige Jahre einen stabilen Rahmen, fast eine Art „Daheim“, schaffen. Und wie war das möglich? Mit Sicherheit begleitend durch äußere Vorgaben, Finanzierung und Unterstützung durch die Politik. Aber wirklich möglich war das nur, weil wir in unserer AWO Kulmbach Menschen beschäftigen, die erkannt haben, wie wichtig ihre Beteiligung an diesem Thema ist und die dann bereitwillig ihren bisherigen Arbeitsplatz aufgegeben haben, um sich diesem ganz neuen Thema zu widmen.
Und das ist es, was mich am Ende wirklich zufrieden macht: Ich war nie alleine, da kann man auch nichts bewirken. Um mich herum waren viele tollen Menschen, die mit ganz viel Begeisterung und Engagement immer wieder neue Themen mit begleitet haben. Und das ist es doch, was in der sozialen Arbeit zählt.